Die richtige Ernährung: Der unterschätzte Faktor in der Pferdegesundheit

Die meisten Pferdebesitzer machen sich nicht allzu viele Gedanken um die Ernährung ihres Pferdes. Im Stall bekommt es das, was der Stallbesitzer füttert oder zuteilt (Weide), und damit man nicht so ganz mit leeren Händen kommt wenn man zu seinem Pferd geht, wird irgendeine Futtermischung zu gefüttert, die man selber, die Stallkollegin, oder die Verkäuferin im Fachgeschäft für richtig und/oder wertvoll erachtet. Solange das Pferd gesund und munter ist, denkt niemand weiter darüber nach. Aber wenn irgendwann Symptome wie Mauke, Strahlfäule, Hufgeschwüre, Haarlinge, Husten oder Ekzeme auftreten, holt man den Tierarzt oder Schmied, der es "weg machen" soll. Keiner denkt darüber nach warum das Pferd diese Symptome zeigt. Es wird auf den matschigen Paddock verwiesen, den nassen Winter, die schlechte Stallhygiene, das staubige Heu…

 

Anders sieht es aus, wenn Symptome wie Kotwasser, Durchfall, EMS, Cushing oder Rehe auftauchen. Da wird schnell gesagt: „Das kommt von der Weide, vom schlechten Heu, der schimmeligen Heulage“. Man geht in ein Fachgeschäft, holt sich weiteres Spezialfutter. Der Tierarzt gibt ein paar Spritzen und es ist einfach „Pech“ so ein empfindliches, krankes Pferd zu haben.

 

Ich war nicht anders. Ich kam mit zwei gesunden, fitten Pferden aus Italien nach Deutschland. Irgendwann bemerkte ich, dass meine beiden Tinker immer dicker wurden. Aber was sollte ich machen? 24 Stunden freien Weidezugang im Sommer hatten sie doch immer schon. Heu zur freien Verfügung gab es ebenfalls schon immer. Ich schob es auf den Zeitmangel, der mich am Reiten hinderte, und nahm es hin. Im Laufe der ersten beiden Jahre in Deutschland traten immer häufiger Erkrankungen wie Strahlfäule, Kotwasser und wiederkehrender Durchfall auf. Ich erkundigte mich bei Tierärzten, fragte meine Dozenten bei meiner Ausbildung zum Tierheilpraktiker. Aber niemand konnte mir eine zufriedenstellende Auskunft geben. Die Symptome, die in Italien niemals auftraten, häuften sich hier immer mehr.

 

Ich wechselte vom Stall zu eigener Haltung, verbannte die Heulage, fütterte nur noch Heu. Das Kotwasser wurde besser, Strahlfäule blieb aber ein ewiges Thema. Im Sommer fingen meine beiden sich immer häufiger an zu schubbern. Obwohl sie in Italien ein Vielfaches der Mückenplage zu erdulden hatten, ohne sich jemals die Mähne ab zu schubbern! Im Winter 2014 kamen dann sogar noch Mauke und ein Hufgeschwür dazu. Mein Wallach schien überhaupt nicht mehr satt zu werden, er stand tagein tagaus an der Heuraufe und fraß und fraß.

 

Ich fand ein vielversprechendes Seminar über Pferdeernährung von Simone Meyer – und das brachte endlich Klarheit, Antworten und Lösungen.

 

Pferde haben sich ihrer ursprünglichen Herkunft nach perfekt an das in der Steppe vorhandene Futter angepasst. Es ist faserreiches, holziges Gras,  ab und an mit einigen wenigen Samenkörnern versehen. Die Pferde sind ständig unterwegs auf der Suche nach den besten Gräsern, und fressen eigentlich dauernd kleine Mengen Futter. Ihr Magen ist dadurch sehr klein (je nach Größe des Pferdes zwischen 5 und 15 Litern). Ihr gesamtes Verdauungssystem ist auf eine ständige Nahrungszufuhr eingestellt.

 

Das Pferd ist bei seiner Verdauung auf einige Mitarbeiter angewiesen. Der Blinddarm (Länge circa ein Meter, Fassungsvermögen circa 30 Liter) ist der Hauptverdauungsort für den faserigen Nahrungsbrei. Unzählige Kleinstlebewesen spalten hier die Fasern auf, damit der Körper sie verwenden kann. Damit diese „Helfer“ im Blinddarm leben und arbeiten können, sind sie auf ein ganz bestimmtes Klima angewiesen. Ist der Darminhalt zu sauer, sterben die Bakterien ab, und das gesamte System bricht zusammen. Folgen sind dann Stoffwechselprobleme, die von EMS über Cushing bis hin zu Rehe und Ekzemen führen.

 

Das Problem unserer heutigen Pferdehaltung ist, dass unsere Wiesen nichts mehr mit den ursprünglichen Lebensräumen zu tun haben. Unsere Wiesen sind durchgehend mit fettem, möglichst hochkalorischem Gras bestückt. Es enthält viel zu viel Zucker und ist für Kühe entwickelt worden. Diese brauchen viel Energie um hohe Milchleistungen zu erbringen.

Dazu kommt, dass die meisten unserer Freizeitpferde eigentlich nichts tun.  Viele Pferdebesitzer, die ich befragt habe, schätzen die Arbeit, die ihr Pferd leisten muss, als leichte bis mittlere Arbeit ein. Bei genauerer Nachfrage erzählen sie, dass sie ihr Pferd etwa zwei bis drei Mal, maximal vier Mal pro Woche bewegt wird. Meist reiten sie dann ins Gelände, oder gehen auch mal auf den Platz.

 

Pferde sind von Natur aus Lauftiere. In freier Wildbahn bewegen sie sich eigentlich den ganzen Tag. Klar, nur selten im gestreckten Galopp, aber sie sind doch fast ständig in Bewegung. Arbeit ist etwas, das über das normale Bewegungsmaß hinaus geht. Das heisst bei einem Pferd konkret: Ein Pferd das sechs bis sieben Tage in der Woche jeden Tag eine Stunde geritten wird, so dass es ins Schwitzen kommt, verrichtet leichte Arbeit. Alles was darunter liegt, gilt als keine Arbeit. Hier reicht zur Futterberechnung der sogenannte „Erhaltungsbedarf“.

 

Ich staunte nicht schlecht, als ich ausrechnete, dass ein ausgewachsener Isländer im Prinzip mit knapp fünf Kilo Heu am Tag gut versorgt ist (wiegen Sie es mal mit einer Kofferwaage ab – ein erschreckend kleiner Haufen!). Wohl gemerkt nur Heu, sonst nichts. Mein Tinker Wallach wäre mit sieben Kilo schon überversorgt, was den Energiebedarf angeht.

 

Nun kommt aber noch ein weiteres Problem hinzu: Da Pferde von Natur aus ständig fressen vertragen sie Fresspausen nicht gut. Nach spätestens vier bis sechs Stunden ist der Magen leer – die Magensäure wird aber weiter produziert. Diese steigt nun im Magen auf und erreicht den oberen Teil des Magens. Da die Natur sparsam ist, hat sie im oberen Bereich des Pferdemagens die Schleimhaut weg gelassen. Ein Pferd, das ständig „nachschiebt“ bekommt niemals Magensäure in den oberen Magenbereich. Also wurde dort der Magen nicht mit Schleimhaut ausgekleidet. Die Magensäure ist eine starke Säure und wenn diese auf ungeschützte Haut trifft, hinterlässt sie Verbrennungen (= Magengeschwüre). Ausserdem produziert ein Pferd beim Kauen Speichel. Dieser ist der Gegenspieler der Magensäure. Der Speichel sorgt so zusätzlich dafür, dass der empfindliche obere Bereich des Magens vor Säureangriffen geschützt wird. Füttern wir unsere Pferde nun überwiegend mit Kraftfutter (Hafer, Müsli…) dann muss das Pferd wesentlich weniger kauen, als wenn es Heu frisst, und produziert somit viel zu wenig Speichel:  Beim Fressen von einem Kilo Rauhfutter (Heu) werden dreieinhalb bis fünf Kilo Speichel produziert. Beim Fressen von einem Kilo Kraftfutter nur noch ein bis anderthalb Kilo.

 

Die grosse Kunst in der Pferdefütterung besteht nun darin, möglichst all diese Faktoren (und es gibt noch einige mehr!) zu berücksichtigen und eine möglichst optimale Futterversorgung zu gewährleisten. Die richtige Fütterung ist leider immer mit einem wesentlich höherem Zeitaufwand verbunden, als wenn man sein Pferd einfach nur „auf die Wiese“ lässt. Auch im Sommer bedeutet das nämlich, mehrmals täglich zum Pferd zu fahren, es immer wieder von der Wiese zu holen, damit es Pause macht. Im Winter muss man ebenfalls mehrmals täglich Heu in kleinen Portionen füttern, am besten aus engmaschigen Heunetzen, damit langsam gefressen wird. Es bedeutet auch einmal genau hin zu schauen was das Pferd alles bekommt. Ist das Pferd über- oder unterversorgt mit Minerlastoffen, Spurenelementen und Eiweiss?

 

Die Belohnung für den ganzen Aufwand ist ein meist gesundes, leistungswilliges und zufriedenes Pferd. Meine Beiden haben sich diesen Sommer nicht ein einziges Mal geschubbert. Mauke, Strahlfäule, Hufgeschwüre etc. gehören der Vergangenheit an. Und mein Wallach denkt nicht mehr nur ans Fressen, auch wenn er noch nicht bei seiner (oder eher meiner) „Traumfigur“ ist.
 

Text und Bild: Mirjam Grabo